Körperempfindung beobachten- Alles will im Licht des Bewusstseins gesehen werden
- Kathrin Rottmann
- 28. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Juni

Wie alte Weisheit sich in dir verkörpert – und der Frieden ganz von selbst kommt
Wie kann es sein, dass sich in einer einzigen Sitzung ein innerer Zustand vollständig verwandelt? Dass man nach 60 Minuten nicht mehr fühlt, was einen vorher tagelang umgetrieben hat? Dass sich ein jahrzehntelanger Trigger plötzlich anfühlt wie eine ferne Erinnerung – neutral, still, aufgelöst?
Gestern saß sie mir gegenüber. Blasses Gesicht, unruhige Beine, ein kaum verhohlener Widerstand gegen das, was anstand.
„Ich kann einfach nicht hin zu diesem Geburtstag. Es schnürt mir die Kehle zu, wenn ich nur daran denke. Und gleichzeitig: Ich will da durch. Ich will nicht immer wieder das Gleiche fühlen.“
Wir setzten uns. Kein Gespräch über die Vergangenheit. Keine Analyse. Keine Strategien. Nur eine Einladung: „Was spürst du gerade im Körper?“
Erst kam nichts. Dann ein kaum merkliches Brennen im Bauch. Druck auf dem Brustbein. Ein Vibrieren in den Händen.
Wir blieben dabei. Still. Wach. Beobachtend.
Und wie so oft begann sich etwas zu verändern. Nicht dramatisch. Nicht mit Pauken und Trompeten. Sondern leise. Wie wenn ein Stein im Wasser zu sinken beginnt und dann den Grund berührt. Ganz klar. Ganz einfach.
Heute früh kam ihre Nachricht: „Ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll. Aber ich freue mich auf morgen. Nicht auf das Gespräch. Nicht auf Versöhnung. Einfach auf das Dasein. Es ist, als wäre dieser Widerstand weg.“
Was genau ist da passiert?
Was in diesem Moment geschah, ist die Essenz dessen, worum es in Feel-Flow-Fade geht.
Nicht um Analyse. Nicht um Kontrolle. Sondern darum, einfach nur zu sehen – und das, was gesehen wird, sich selbst vertrauensvoll zu überlassen.
Denn was auf diese Weise gesehen wird, beginnt sich zu verwandeln. Ohne Zutun. Ohne Mühe. Es ist eine stille Alchemie, die geschieht, wenn das Licht des Bewusstseins auf etwas fällt, das lange im Schatten lag.
Feel-Flow-Fade ist genau dafür da: Ein Weg, der das uralte tantrische Wissen in eine Praxis für die heutige Zeit übersetzt. Für Menschen, die nicht mehr analysieren wollen, sondern Frieden erleben möchten.
Körperempfindung beobachten statt Emotionen fühlen
Was viele als „Fühlen“ bezeichnen, meint in Wahrheit das emotionale Durchleben – inklusive aller inneren Geschichten, Bewertungen und Erinnerungen. Doch genau das ist nicht der Weg in Feel-Flow-Fade.
Wir fühlen nicht das Gefühl selbst, weil das gar nicht möglich ist.
Mach einmal den Versuch: Denk an das Wort „Ärger“. Und dann lass das "Wort Ärger" wie "zerplatzen" .Was bleibt?
Wenn überhaupt etwas bleibt, dann ist es eine körperliche Empfindung:
Ein Druck im Brustkorb vielleicht. Eine Hitze. Ein Pulsieren.
Das ist es, womit wir arbeiten. Denn dort, wo die Geschichte endet, beginnt die Wahrheit. Dort, wo das Gefühl seinen Namen verliert, zeigt sich die Energie selbst – roh, unmittelbar, nicht dramatisch.
Und genau dorthin richtet sich die Aufmerksamkeit in Feel-Flow-Fade: zur Körperempfindung, die ganz real ist –gesehen und gefühlt, im ursprünglichen Sinn des Wortes: als Wahrnehmung.
Es ist keine Vermeidung. Es ist ein Wechsel der Ebene.
Wir steigen aus dem Kopf in den Körper – nicht um „Emotionen zu fühlen“, sondern um ihre Spur im Körper still zu betrachten.
Dort beginnt die Alchemie.
Statt im emotionalen Erleben zu kreisen, geht es darum, die Körperempfindung zu beobachten – mit offener Aufmerksamkeit, ganz ohne Geschichte.
Warum alles zurück ins Licht will
Es ist fast, als ob alles gesehen werden will. Nicht, weil es laut ruft. Sondern weil es still wartet.
Erfahrungen, die wir nicht vollständig aufgenommen haben, hinterlassen Spuren. Im tantrischen Kontext nennt man sie saṃskāras – Eindrücke, die nicht verdaut wurden, weil wir uns im Moment des Erlebens von ihnen abgewendet haben.
Manchmal war das zu schmerzhaft. Oder zu intensiv. Manchmal haben wir gar nicht bemerkt, dass wir uns innerlich verschlossen haben.
Aber selbst wenn wir es vergessen, vergisst der Körper nicht. Er erinnert sich – durch Empfindung.
Ein Engegefühl im Hals, das plötzlich auftaucht. Ein Ziehen in der Brust, ohne erkennbaren Grund. Der Kloß im Bauch, wenn du eigentlich ruhig sein willst.
Es sind diese ganz konkreten Empfindungen, die Feel-Flow-Fade ins Zentrum stellt. Nicht als Symptom. Sondern als Tor.
Denn genau hier – in dieser oft übersehenen Neutralität – geschieht das, was die tantrische Tradition Verdauung nennt: Die Energie beginnt sich zu wandeln.
Wenn Energie Geschichten erzählt – und wir sie gehen lassen
Was wir oft als negative Emotion erleben – Angst, Wut, Trauer – ist keine feindliche Kraft. Es ist Energie, die in einer Form festhängt, weil sie mit einer Geschichte verknüpft ist.
Wenn du zum Beispiel wütend bist, weil du glaubst, dass dir jemand Unrecht getan hat, musst du diese Geschichte als Geschichte erkennen – als ein Gedankengeflecht basierend auf vergangenen Konditionierungen. Und wenn du die Geschichte loslässt, verändert sich manchmal auch das Gefühl.
Doch Feel-Flow-Fade macht noch etwas anderes: Es greift diese Geschichte gar nicht erst auf.
Denn dort, wo wir hinschauen – in die Körperempfindung – gibt es keine Geschichte. Kein „Warum“, kein „Was hat das mit mir zu tun? “Dort gibt es nur Energie in Bewegung. Und in dieser Bewegung liegt Freiheit.
Manche glauben, dass saṃskāras nur dann entstehen, wenn man etwas „nicht verarbeitet“ hat. Aber das ist ein Mythos.
Wir alle tragen Spuren – weil Bewusstsein ein Reifungsprozess ist. Und weil unser Körper mehr erinnert, als unser Kopf begreifen kann.
Was bleibt, wenn wir innerlich wegsehen
Es sind oft gar nicht die großen Traumata, die uns formen. Sondern die kleinen Momente, in denen wir innerlich weggesehen haben.
Ein leiser Schmerz, den wir überspielt haben. Ein Blick, den wir nicht erwidert haben. Eine Freude, die wir nicht ganz zulassen konnten, weil sie zu viel war.
Diese Momente hinterlassen Spuren – nicht als Erinnerung, sondern als Eindruck im Körper. Als unvollendete Bewegung.
So entstehen saṃskāras – nicht, weil wir versagt hätten, sondern weil wir Menschen sind und weil Bewusstsein ein leiser Prozess ist.
Es ist, als würde jede Erfahrung um das Licht bitten. Und jedes Mal, wenn wir uns abwenden, bleibt ein Teil von ihr zurück –wartend. Nicht fordernd. Nur bereit, wenn wir es sind.
Diese zurückgelassenen Teile tauchen wieder auf. Nicht als Störung, sondern als Einladung.
Eine Enge im Brustkorb. Ein Kloß im Hals. Ein Ziehen im Bauch.
Nicht, weil du etwas falsch gemacht hast. Sondern weil etwas in dir erinnert, dass es gesehen werden wollte.
Und wenn du heute hinsiehst – mit Bewusstsein, das nichts will –dann beginnt sich etwas zu öffnen.
Kein Spektakel. Keine Offenbarung. Nur die stille Rückkehr von Energie dorthin, wo sie herkam.
Ins Licht. In dich.
Wie sich Energie verwandelt, wenn wir nichts tun
Feel-Flow-Fade braucht keine Werkzeuge. Kein spirituelles Vokabular. Keine Übungen, bei denen du etwas „machen“ musst.
Es ist eine Einladung, deinem Körper zuzuhören – und damit der Intelligenz des Lebens selbst.
Denn alles, was gesehen wird, wird weich. Alles, was angeschaut wird, beginnt zu fließen. Und alles, was fließt, will zurück zur Quelle.
Du bist das Licht, das dies möglich macht. Du bist das Bewusstsein, durch das sich Welt heilt.
Der Moment, in dem alles still wird
Vielleicht ist es genau das, was am meisten überrascht: Dass dieser Weg nicht fordert, sondern erinnert. Dass du nicht heilen musst, um heil zu sein. Dass du nichts lösen musst, um Frieden zu finden. Dass du nichts loslassen musst, damit sich etwas verändert.
Du brauchst nur sehen.
Still. Wach. Jetzt.
Und vielleicht geschieht dann eines Tages – mitten im Alltag –dieser unscheinbare Moment:
Du spürst etwas in dir, einen alten Schatten vielleicht, eine vertraute Spannung, und ohne dass du dich anstrengst, bleibst du mit der Aufmerksamkeit genau dort.
Du tust nichts – und doch geschieht etwas.
Wie ein Tropfen Licht, der fällt und einen ganzen See in Bewegung bringt.
Nicht laut. Nicht dramatisch. Aber tief.
So fühlt sich innere Freiheit an. Nicht als Zustand, den man erreicht. Sondern als leiser Fluss, der wieder zu fließen beginnt, weil du ihm dein Licht gibst.
Das ist die Praxis von Feel-Flow-Fade.
Eine Einladung an das Leben, zurückzukehren in dich. Nicht als Last. Sondern als Licht. Nicht als Geschichte. Sondern als Gegenwart.
Und irgendwann, wenn du zurückblickst, merkst du:
Du hast nichts verändert –aber alles ist anders.
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Nachwort – Dank an Dr. Christopher Wallis
Die innere Architektur der Feel-Flow-Fade-Praxis verkörpert die Struktur und Weisheit, wie sie in Kapitel 11 der Recognition Sutras beschrieben wird – einem Kommentar des kaschmirischen Philosophen Kṣemarāja aus dem 11. Jahrhundert.
Dieser Text wurde von Dr. Christopher Wallis, einem international anerkannten Gelehrten und Praktiker tantrischer Philosophie, mit großer sprachlicher Sorgfalt und philosophischer Tiefe ins Englische übersetzt und kommentiert.
Dr. Wallis gelingt es, die komplexe innere Logik dieser Tradition so zugänglich und lebendig darzustellen, dass sie – ganz im Sinne von Feel-Flow-Fade – nicht bloß verstanden, sondern im eigenen Erleben verkörpert werden kann.
Seine Arbeit bildet eine essenzielle Brücke zwischen uralter Erkenntnis und moderner Praxis.
Mit Respekt und Dankbarkeit für einen Wissenschaftler und Lehrer, dessen Werk dazu beiträgt, dass diese Tiefe heute gelebt werden kann.
Literatur & Quelle
Kṣemarāja: The Recognition Sutras. Illuminating a 1,000-Year-Old Spiritual Masterpiece. Übersetzung und Kommentar: Dr. Christopher Wallis, Mattamayūra Press, 2017.
Weitere Informationen: www.tantrikstudies.org
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