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AutorenbildKathrin Rottmann

**Wie Gefühle entstehen und was sie in Wirklichkeit sind**.




Löwe zeigt seine Zähne.


Die überraschende Wahrheit über Gefühle

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich dachte immer, Gefühle seien in uns universell vorprogrammiert und würden durch einen äußeren Anlass hervorgerufen. Ich war bisher der Meinung, dass Gefühle eine natürliche Reaktion auf äußere Ereignisse sind. Haben wir nicht alle dies Sichtwiese schon als Kinder gelernt durch Sätze wie „Musst du mich immer so ärgern“, „Das macht mich traurig“, „Wenn ich das sehe, bekomme ich Angst“ etc.?

Heute weiß man, dass es nicht wahr ist, dass unser Gefühl wie auf einer Festplatte vorprogrammiert sind und sie per Knopfdruck abgerufen werden. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Gefühle eine reine Reaktion auf äußere Ereignisse sind!

Aber wie entstehen unsere Gefühle?

 

Wie unser Gehirn Gefühle erschafft. Ein Blick auf die Forschungsarbeit von Lisa Feldman Barrett

Das, was ich jetzt vorstelle, bezieht sich auf die Forschungsarbeit von Lisa Feldman Barrett. Sie ist Psychologin und Neurowissenschaftlerin und hat intensiv auf dem Gebiet der Entstehung von Gefühlen geforscht. Ihre Forschungsergebnisse werfen ein völlig anderes Licht auf unsere Gefühle: die Ergebnisse ihrer jahrzehntelangen Arbeit belegen:


Gefühle sind Annahmen, aber nicht die Wahrheit.



Unser Gehirn stellt ununterbrochen Vermutungen an

Unser Gehirn trifft ununterbrochen Annahmen, um uns schnell reaktionsfähig zu machen. Unsere Art hätte wahrscheinlich ohne diese Fähigkeit unseres Gehirns nicht überlebt. Die Annahmen, die unser Gehirn trifft, speisen sich aus folgenden Daten:

1.  Dem Datenstrom aus den fünf Sinnen

  1. Dem Wissen, das uns in diesem Moment zur Verfügung steht, einschließlich den Erfahrungen, die wir bisher in unserem Leben gemacht haben, sowie die Prägungen durch Familie und Gesellschaft.

  2.  Dem Kontext, in dem wir uns gerade befindest.

  3. Unseren Körperempfindungen.


Aufgrund dieser, ihm zur Verfügung stehenden Daten, bereitet uns unser Gehirn auf das, was im nächsten Moment passieren könnte, vor. Damit ist das in uns anwesende Gefühl die bestmöglichste Annahme, die unser Gehirn in diesem Moment treffen kann. Unser Gehirn sagt uns durch das Gefühl, ob wir entspannen können oder ob Gefahr droht und wir „sprungbereit“ sein sollten.

Ein kleines Beispiel zur Selbsterfahrung dazu: (Lisa Feldman Barrett, Wie Gefühle entstehen, Seite 122):


Ließ langsam diese Worte:


„Vor langer, langer Zeit lebte in einem magischen Königreich, jenseits der finsteren Berge, eine schöne Prinzessin, die verblutete.“


War das Ende unerwartet für dich?

Das liegt daran, dass dein Gehirn aufgrund deines Wissens über Märchen keine korrekte Vorhersage getroffen hat. Du hast gerade einen sogenannten „Vorhersageirrtum“ erlebt.

Das Gleiche läuft ab, wenn wir eine Fremde manchmal für jemanden halten, den oder die wir kennen. Dann kommt plötzlich eine andere Sinnesinformation rein, die Person dreht sich um, und du siehst, dass es doch nicht die Bekannte ist. Das Gehirn korrigiert die Vorhersage unmittelbar und gut ist.

Das läuft auch ab, wenn wir nachts durch den Wald gehen und uns eine am Wegesrand liegende, vermeintliche Schlange in Angst und Schrecken versetzt. Haben wir zufällig eine Taschenlampe dabei wird vielleicht schnell klar, dass die Schlange nur ein Ast ist. Der Vorhersageirrtum der uns Fluchtbereit macht, wird in Sekundenschnelle korrigiert und die Angst weicht wahrscheinlich einem Lachen.


Ein Vorhersageirrtum auf der Mülldeponie

Während ich an diesem Text arbeite, hatte ich ein nettes Erlebnis zum Thema Vorhersageirrtum: Ich wollte Gartenmüll, bei der Mülldeponie abgeben. Die Schlage war lang, ich war leicht genervt, weil ich eigentlich „nur mal eben“ den kleinen Berg Rasenschnitt abgeben wollte. Die Situation erlaube es und ich fuhr mit einem kurzen Handzeichen durch, anstatt nochmal auszusteigen um mein Eimerchen anzumelden. Gefühlt hatte ich mich gerade etwas durchgemogelt. Beim Rausfahren sehe ich, dass die Dame von der Annahme aus ihrem Häuschen kommt und sich an die Schranke stellt, durch die ich durchfahren muss. In mir zieht sich alles zusammen. Oh je, jetzt gibt es eine Predigt! Voller Erwartung, jetzt streng ermahnt zu werden, zieht sich meine Muskeln und meine Magengrube zusammen. Ich komme der Schranke näher, lass die Scheibe runter … und höre: … „Tschüss, schönen Tag noch.“ Was für eine Entspannung!

Mein Gehirn hat in Sekunden den Vorhersageirrtum korrigiert. Mein zusammengezogener Magen entspannte sich spüre in Sekunden.

 


Fehlerquelle für Gefühle: Falsche Schlussfolgerungen

Ein weiterer Fehler der dem Gehirn passieren kann ist, dass es auf Grund, des erwähnten Kontextes und die familiären Prägungen aus einer Situation falsche Schlüsse ziehen. Und uns mit einem Gefühl überflutet, das keinen realen Grund hat. 

Unser Sohn war klein. Ich war auf dem Weg zu einer mehrtägigen Ausbildung und hatte eine Nichte da, die in der Zeit unseren Sohn betreute. Nach dem Packen des Autos und dem Verabschieden an der Tür fiel die Haustür ins Schloss, bevor ich abgefahren war. Kein Winken, kein zugeworfenes Küsschen zum Abschied.

Ich habe zwei Stunden im Auto gesessen und geheult. Und war natürlich davon überzeugt, dass ich den Grund für diese Hartherzigkeit kannte: „Die sind froh, dass ich weg bin.“ „Er (mein Mann) ist bestimmt sauer, dass ich so oft weg bin“ „Eigentlich unterstützt er mich nicht wirklich“ „ich bin ihm egal“ usw. usw. (die anderen Sätze, die durch meinen Kopf spukten wiederhole ich jetzt nicht. Ich gehe davon aus, dass jede Leserin und jeder Leser genug Phantasie hat, sich weitere vorzustellen.)

Noch die nächsten Tage beschäftigte mich dieser enorme Schmerz.  Bis ich es irgendwann hatte. Heraus kam eine schlichte, kleine Wahrheit, die dieses Mal durch einen tagelangen Geburtskanal ging. Für mich bedeutet Winken beim Abschied schlicht und ergreifend LIEBE, geprägt in meiner Kindheit. Jetzt konnte ich meinem Mann erzählen was in mir vorgegangen war ohne ihn der Lieblosigkeit zu beschuldigen. Seine Antwort:  „Ach du meine Güte, das tut mir wirklich leid! Für mich bedeutet es immer Stress, wenn ich abfahre, während du noch an der Tür stehst, weil ich gerne in Ruhe das Navi starte und nochmal überlege, ob ich was vergessen habe. Ich wollte dir doch nur auch diesen Raum geben.“ Das Ende vom Lied ist, dass mein Mann jetzt immer so heftig winkt, wenn ich wegfahre, dass es mir schon fast zu viel ist.

 

Dass Gehirn kann aber auch noch ganz anders

Unser Gehirn kann aber auch etwas anderes mit dem Vorhersageirrtum machen: Es kann stur bei der ursprünglichen Vorhersage bleiben und den Sinnesinput so filtern, dass er zur Vorhersage passt.

Natürlich habe ich auch dafür ein persönliches Beispiel mit meinem Mann (nachdem unser Sohn aus dem Haus ist, ist er mein bester Lehrer):


Wenn das Gehirn stur bleibt: Interpretation eines Gesichtsausdrucks

Ich hatte von meiner besten Freundin Besuch. Wir waren abends gemütlich am Quatschen, als mein Mann nach Hause kam. Ich wollte ihn begrüßen und sagte etwas, an das ich mich leider nicht mehr erinnere. Dafür erinnere ich mich sehr genau an seine Reaktion. Dieser Gesichtsausdruck, der für mich immer Ablehnung signalisiert. Meine direkte Gefühlsreaktion: Sauer! Mein Mann war aus dem Raum, und mein Wortschwall begann: „Bin ich froh, dass du das jetzt mal gesehen hast. Ist das nicht ätzend, immer diese Reaktion, wenn ich das sage…“. Daraufhin meine Freundin: „Nee, das habe ich nicht gesehen“. Ich wurde natürlich noch saurer und jetzt auch auf meine Freundin. „Wie kannst du das nicht sehen, das war doch eindeutig?“  Warum war sie nicht bereit, mich zu verstehen?

Da ich umgekehrt in solchen Momenten immer sage: „In dem Moment, wo irgendjemand die Situation anders wahrnehmen könnte als du, liegt der Ball in deinem Garten - dann hast du einen Balken vor den Augen“, musst ich mir jetzt an die eigene Nase fassen.

Ein unangenehmer Moment, ja! Das tut kurz echt weh, den Blick nach innen zu richten – Autsch!


Ist es doch so viel angenehmer die Schuld dem Außen zu geben.

Aber der Geburtskanal zu einer neuen Betrachtung ist kurz! Außerdem weiß ich aus Erfahrung vieler, vieler Male, die ich diesen Prozess schon vollzogen habe, dass anschließend ein großes Geschenk wartet. Ein Geschenk, das daraus besteht, dass ich mich in dieser und ähnlichen Situationen nicht mehr ärgere, oder darin, dass plötzlich richtig viel Energie und Lebensfreude aufsteigt. Manchmal fühlt es sich für mich so an, als wäre der Korken aus einer Sektflache raus und in mir sprudelt es vor Lebensenergie und Freude.

Ja, einfach pure Freude, als wäre mein System glücklich einen Kampf aufgegeben zu können. Diese Energie steht anschließend frei zur Verfügung.

Als ich dieses Mal durch das Nadelöhr durch war, wurde mir klar, dass ich jahrelang einem Vorhersageirrtum aufgesessen hatte und mein Mann mit diesem Gesichtsausdruck vieles ausdrückte, aber nicht das, was ich ihm unterstellt hatte. Was für eine Erleichterung!

 

Vorhersageirrtümer – eine Ausnahme?

Wenn wir unsere Gedanken beobachten, verweilen wir den lieben langen Tag in diesen Simulationen, Vorhersage-Versuchen unseres Gehirns. Das kostet uns unglaublich viel Energie.

Die Studien von Lisa Feldman Barrett belegen, dass wir mindestens die Hälfte des Tages mit diesen Simulationen beschäftigt sind, anstatt mit dem, was WIRKLICH in diesem Moment ist („Wie Gefühle entstehen“ S. 136).

Um das persönlich wahrzunehmen, hilft übrigens Meditation! Und da gibt es keine Ausrede, dass Meditation nichts für dich ist, dann hast du nur noch nicht die passende für dich gefunden.

 

Alles nur aus Energiespargründen

Unser Gehirn trifft also Vorhersagen, um uns auf das Kommende vorzubereiten, sei es durch Entwarnung oder durch Alarm. Doch ob diese Vorhersagen tatsächlich zutreffen, wissen wir oft nicht. Das bedeutet, dass das Gefühl, das wir gerade haben, möglicherweise auch ein Vorhersageirrtum unseres Gehirns sein könnte.

Aus Sicht des Gehirns ist das übrigens schlau, weil es einfach Energie spart, wenn es auf alte Daten zurückgreift, anstatt neue Verknüpfungen zu schalten.

 

Um ein bisschen „Mitgefühl“ für unser Gehirn zu entwickeln, vergegenwärtigen wir uns einmal, welche Leistung unser Gehirn in jedem Moment vollbringt. Dafür hier ein kleines Gedankenexperiment: 

Versetzen wir uns in die Situation unseres Gehirns. Es ist eingesperrt zwischen einer dicken Wand, die wir Schädel nennen. Es hat die Aufgabe, uns durch das Leben zu manövrieren – und das möglichst, ohne dass sein Schützling Schaden nimmt. Der einzige Kontakt nach außen: fünf Sinne, über die zunächst einmal ein Datenstrom in Form von Klang, Licht in verschiedenen Frequenzen, Geschmack, Geruch und Tastempfindungen einströmt. 

Diesen enormen Datenstrom gleicht es mit unserem Erlernten, unseren Erfahrungen und den Körperempfindungen in diesem Moment ab und erstellt daraus ein stimmiges Bild sowie eine Vorhersage darüber, was im nächsten Moment passieren wird. Das ist äußerst wichtig, zum Beispiel für einen reibungslosen Bewegungsablauf. Wir könnten keine Treppe hinauflaufen oder einen Ball fangen, wenn unser Gehirn nicht diese Vorhersagen machen würde.

Das Gehirn eines Tischtennisspieler beispielsweise hat unglaublich viele Daten zum Thema „Ball mit einem kleinen Schläger vernünftig auf die andere Tischtennisplattseite schlagen“ abgespeichert. Es hat unzählige Vorhersageirrtümer durch neuen Input korrigiert und dadurch eine große Präzision in der Koordination des Bewegungsablaufes erlangt.

Würde unser Gehirn jedes Mal alle Daten von Neuem verarbeiten, wäre ein Tischtennisspiel in seiner hohen Geschwindigkeit und mit den ausgeklügelten körperlichen Abläufen nicht möglich.  (vergl. Lisa Feldman Barrett „Wie Gefühle entstehen“ Seite 124). 


Ebenso läuft es im Alltag. Wir merken gar nicht, wie viele Vorhersageirrtümer unser Gehirn täglich korrigiert, wertschätzen aber das Ergebnis. Den Prozess nennen wir Lernen, und jeder Lernprozess beinhaltet eine Veränderung unseres Wissens, unserer Erfahrungen und unserer zukünftigen Wahrnehmung. Nur wenn die Gefühle ins Spiel kommen, meinen wir, sie seien etwas Eindeutiges und Unveränderbares.  


In diesem Zusammenhang kann man auch noch einmal darüber nachdenken, wie viel Sinn der Satz „folge deinen Gefühlen“ eigentlich macht. (Wer sich das Thema mal genauer anschauen möchte, empfehle ich Christoper D. Wallis Buch Near Enemies of the Truth Seite 41 Listen to your Heart. Link zum Buch siehe unten).


Warum ist unser Gehirn aber so schwerfällig, die Vorhersageirrtümer, die im Zusammenhang mit intensiven Gefühlen stehen, zu korrigieren oder sogar den Sinnesinput so geschwind anzupassen, dass er zum Vorhersageirrtum passt? 

Die bisher einzige Antwort, die ich bei Lisa Feldman Barrett gefunden habe, ist kurz gesagt:


Energie sparen um jeden Preis. 


In meiner Erfahrung lohnt es sich, kurz ein erhöhtes Maß an Energie für die Klärung eines Vorhersage-Irrtums zur Verfügung zu stellen, um anschließend auf ein erhöhtes Maß an Energie zugreifen zu können. 


Jetzt höre ich förmlich die berechtigte Frage: „Ja, aber was kann ich machen, um Einfluss auf diese autonomen Aktivitäten meines Gehirns zu nehmen?“ 


Es gibt eine ganz eindeutige Interventionsmöglichkeit: Bewusstsein.


Und wirklich einfach „nur“ bewusst sein/wahrnehmen. Sonst nichts!

Der Rest verändert sich in Folge der Wahrnehmung ganz von alleine! 


Das ist der Ansatz der Feel-Flow-Fade-Methode. Um die wird es nun im Detail im nächsten Artikel gehen.


 


Weiterführende Empfehlungen:


Das Buch von Lisa Feldman Barrett:


Beiträge zum Thema von Christopher D. Wallis:




 

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